Hintergründe
Botschafter der Klassik: Violinist Ray Chen

Warum es so wichtig ist, mit dem Publikum in Kontakt zu kommen – und dabei auch neue Wege zu gehen!

Ray Chen © Sebastian Madej/Deutsche Klassik
© Sebastian Madej/Deutsche Klassik

Mit Anfang 30 hat Ray Chen bereits eine beachtliche Karriere vorzuweisen. Sein erstes öffentliches Konzert gab er mit acht Jahren in Queensland, sein Studium in Philadelphia begann er mit gerade einmal 15 Jahren und die ersten Preise beim Yehudi Menuhin (2008) und Reine Elisabeth (2009) Wettbewerb gewann der australisch-taiwanesische Geiger mit Anfang 20. Seitdem spielt er als gefragter Solist vor ausverkauften Sälen auf der ganzen Welt – und mittlerweile auch regelmäßig bei uns.

„Ich bin ein Kommunikator.“

Aber was unterscheidet Ray Chen von den vielen anderen jungen Geiger:innen, die über brillante Technik, bestechende Virtuosität und feinstes Gespür für die Musik verfügen? „Wissen Sie, ehrlicherweise bin ich eigentlich einfach nur ich selbst“, sagte er unlängst in einem Interview. Das trifft zu – und zwar auf allen Ebenen. Denn wie kaum ein anderer Solist seiner Generation hat Ray Chen schon sehr früh damit begonnen, alle ihm zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle intensiv zu nutzen. Für ihn beschränkt sich das Musikerdasein nämlich nicht auf das, was auf der Konzertbühne passiert.

Ich glaube, es gibt auch andere Dinge, die heute in der Verantwortung des Künstlers liegen. Musiker sollten heute Botschafter ihrer Sache sein, auch abseits der Bühne. Ich definiere dieses Botschafter-Dasein über das Kommunizieren mit den großartigen Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram und YouTube.
Ray Chen

Und wenn man sieht, wie viele tausend Menschen den Kanälen von Ray Chen folgen und über diese mit ihm – und der klassischen Musik – in Kontakt kommen, wird deutlich: Der Geiger nimmt seine Botschafterrolle sehr ernst. Mit klarer Vision, aber auch einer ordentlichen Portion Humor gelingt es Ray Chen, Menschen anzusprechen, die mit der Klassik (noch) nicht vertraut sind, ihr vielleicht sogar skeptisch gegenüberstehen. Ihnen zeigt er die unbeschwerte oder gar lustig Seite dieses Genres und führt sie spielerisch und unterhaltsam immer näher an die Musik heran. Er macht deutlich, dass die Klassik sehr viel mehr ist, als eine aussterbende Kulturform und dass gerade sie von den Möglichkeiten der digitalen Vernetzung profitieren kann – schien es doch lange Zeit so, als würde die digitale Entwicklung voranschreiten und die klassische Musik im Analogen verharren. Doch Ray Chen arbeitet dagegen: Kurzerhand richtete er beispielsweise den Kanal „raychenviolin“ bei Discord ein. Discord – ursprünglich entwickelt, um die Kommunikation zwischen Videospielenden zu erleichtern – ermöglicht nun die virtuelle Vernetzung von Geiger:innen aus der ganzen Welt. Sie können sich gegenseitig beim Üben zuhören und so Inspiration und wertvolles Feedback sammeln. Vor allem in Zeiten von Kontaktbeschränkungen waren Möglichkeiten der Vernetzung und des Austauschs wie diese (nicht nur) für die Nachwuchsmusiker:innen essenziell.

„Ich spiele Musik, weil ich meine Emotionen ausdrücken muss.“

Durch diesen hochkommunikativen Ansatz gelingt es Ray Chen, das scheinbar angestaubte Image der Klassik – „es entspricht eher dem strengen Frack mit schwarzer Fliege“ – aufzupolieren. Und das macht er nicht nur im Internet, sondern auch offline, live auf der Bühne. „Ich möchte, dass die Menschen in den Konzertsaal kommen und denken: Wow, das war richtig cool, es war aufregend, vielleicht gehe ich noch mal dahin!“ Damit es richtig „cool“ wird, ist Ray auch auf der Bühne ganz er selbst. Alle seine Emotionen legt er in den Klang, von dem die Huffington Post einmal schrieb: „Zum Sterben. Er hatte diesen geschmeidigen Ton, der emotionale Tiefe höchster Intimität mit sich bringt.“ In seinen Interpretationen findet sich immer etwas Neues, etwas „Unerhörtes“. Denn Ray interpretiert die Stücke nicht nur mit großem Respekt für die Intention des Komponisten – vielmehr sieht er sich als Emulgator, der die Ideen des Tonmalers mit seinen eigenen Emotionen verbindet. Er macht das Werk zu einem Teil seiner selbst – und das hört man.